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08.11.1941. Die Deutschen ermorden in Monastyrschtschina 1008 Menschen

 

Das Schicksal des Isaak Rosenberg

In der Ortschaft Monastyrschtschina im Smolensker Gebiet lebten viele Juden. Es gab dort einen jüdischen Kolchos. Am 8. November 1941 brachten die Deutschen alle Juden, insgesamt 1008 Menschen, um. Die Juden wurden mit Maschinenpistolen erschossen, die Kinder lebendig begraben. Als der später verhaftete Polizist Dudin gefragt wurde, ob er die Kinder tatsächlich lebend in die Grube geworfen habe, antwortete er: «Ich habe sie nicht hineingeworfen, sondern hineingelegt.»
Auch Kinder aus gemischten Ehen wurden umgebracht. Die Russin Ljubow Alexandrowna Dubowizkaja, von Beruf Lehrerin, war mit einem Juden verheiratet. Man verhaftete und folterte sie. Ihre Kinder - sieben und vier Jahre alt sowie ein Einjähriges -  wurden umgebracht. Die Dubowizkaja ist jetzt 27, doch nach allem, was sie durchgemacht hat, sieht sie wie eine Greisin aus.
Monastyrschtschina ist abgebrannt, von den Häusern blieben nur die Öfen übrig. Auch von dem Haus, in dem Isaak Rosenberg, ein Mitarbeiter des SAGS * in der Kreisverwaltung, gewohnt hatte, ist nur der Ofen zurückgeblieben. Isaak Rosenberg war mit einer Russin verheiratet, die aus dem Kreis Shirjatinsk im Orlower Gebiet stammte. Natalja Jemeljanowna Rosenberg hatte zwei kleine Kinder. Sie überlebten, weil die Mutter den Henkern erklärt hatte, dies seien Kinder aus erster Ehe.
Natalja Jemeljanowna versteckte ihren Mann in einer Grube unter dem Ofen. Dort verbrachte er etwas mehr als zwei Jahre. Er saß dort zusammengekrümmt, konnte weder stehen noch liegen. Wenn er manchmal nachts das Versteck verließ, vermochte er sich nicht mehr gerade aufzurichten. Die Mutter verheimlichte den Kindern, daß sich ihr Vater im Keller versteckt hielt. Einmal blickte das vierjährige Mädchen durch einen Spalt und sah zwei große schwarze Augen. Erschrocken schrie sie auf: «Mama, wer ist da?» Natalja Jemeljanowna antwortete ihr ruhig: «Das ist eine große Ratte, ich habe sie schon lange bemerkt.»
Auf Fetzen deutscher Zeitungen führte Isaak Rosenberg Tagebuch und zeichnete Berichte seiner Frau über die «neue Ordnung» in Monastyrschtschina auf. Oft lief Wasser in das Versteck. Husten würgte Rosenberg, doch er wagte nicht zu husten. Auch darüber hat er geschrieben.
Das Haus war ansehnlich und gefiel den Deutschen. Deshalb deckte Natalja Jemeljanowna nachts das Dach ab. Nun regnete es hinein, und im Winter war es kalt, doch dafür interessierten sich die Deutschen nicht mehr für das Haus.
Natalja Jemeljanowna erkrankte an Flecktyphus. Man brachte sie ins Krankenhaus. Die Kinder wurden von einer Nachbarin aufgenommen. Nachts kletterte Isaak Rosenberg nach oben und leckte den Kleister von der Tapete. So schleppte er sich zwei Wochen lang durch. Zur gleichen Zeit quälte Natalja Jemeljanowna im Krankenhaus der Gedanke, sie könnte im Fieber etwas über ihren Mann ausplaudern.
Im September 1943 rückten Einheiten der Roten Armee unmittelbar bis an die Ortschaft vor. Monastyrschtschina liegt an einem Kreuzweg, die Deutschen leisteten hier heftigen Widerstand. Der Kampf wogte hin und her. Neben Rosenbergs Haus hatten sich die Deutschen mit schweren Waffen verschanzt. Natalja Jemeljanowna nahm ihre Kinder und lief mit ihnen, wie alle anderen Einwohner auch, in den Wald. Sie kehrten zurück, als die ersten Rotarmisten in den Ort vorstießen. Sie sah nur noch rauchende Asche und den Ofen, das Haus war niedergebrannt. Isaak Rosenberg war im Rauch erstickt. Er hatte 26 Monate in dem Versteck zugebracht und starb zwei Tage vor der Befreiung Monastyrschtschinas durch Einheiten der Roten Armee.

* SAGS, Abkürzung für Sapis Aktow Grashdanskowo Sostojanija, d. i. Amt für Personenstandswesen, d. h. Standesamt.

aus:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg (Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994