<<
 

24.03.1944. Erschießungen in den Fosse Ardeatine / Rom


Die Erschießungen gingen mit Präzision vonstatten. Um 15.30 Uhr wurden die ersten fünf Opfer ausgewählt und in die dunklen Höhlen vor den Toren Roms geführt. Die an den Händen gefesselten Gefangenen mußten sich auf den Boden knien, mit dem Gesicht zur Wand, den Kopf nach unten geneigt. Die Pistole wurde ihnen an das Genick gehalten. Auf Kommando drückte jeder der fünf SS-Offiziere auf den vor ihn Knienden ab. In der Höhle verbreiteten Lampen und Fackeln ein dämmriges Licht. Ein Arzt kontrollierte, ob der Tod eingetreten war. Nach vier Minuten folgte ein weiterer Offizierstrupp mit den nächsten fünf Gefangenen. Die etwa zehn weiteren Exekutionskommandos bestanden aus jeweils fünf SS-Männern im Unteroffiziersrang, die im Abstand von vierzig Minuten erneut zum Einsatz kamen. Widerstand von Seiten der Opfer gab es kaum. Die meisten Gefangenen ließen sich wie die Schafe zur Schlachtbank führen, selbst als sie später auf die Leichen ihrer Vorgänger steigen mußten. Einige wenige Verzweifelte versuchten sich zu wehren, wurden aber mit Gewehrkolben bewußtlos geschlagen. Die anderen Gefangenen warteten draußen vor dem Höhleneingang, gefesselt und bewacht. Sie müssen die Geräusche der Erschießungen gehört haben.
Ein SS-Hauptsturmführer kontrollierte die Liste der Gefangenen, rief die Todeskandidaten in exzellentem Italienisch auf und markierte deren Namen säuberlich mit einem Stern: Kriminalkommissar Erich Priebke. Er hatte Erfahrung mit der Führung von Karteien und Listen. Im Büro des „Außenkommandos der Sicherheitspolizei und des SD" in Rom war der Dreißigjährige innerhalb der Abteilung IV (Gestapo) wohl für die Haftkartei (Sachgebiet IV 6) und für Sonderaufgaben (Sachgebiet IV 5) zuständig. Nach einer kaufmännischen Lehre und Anstellungen als Hotelsekretär in Grandhotels in Rapallo und London hatte Priebke nach seinem Eintritt in die Geheime Staatspolizei und in die SS 1937 eine kriminalpolizeiliche Ausbildung absolviert. Es lag nahe, daß er nun, da das gesamte „Außenkommando" zur Durchführung der Massenexekution verpflichtet worden war, die Häftlingsliste verwaltete und den „ordnungsgemäßen" Ablauf kontrollierte. Drinnen in den Höhlen überwachte zumeist der Leiter der Abteilungen IV (Gestapo) und V (Kripo), der 36jährige SS-Hauptsturmführer und Kriminalkommissar Carl Schütz, die Erschießungen.

Es war der Leiter des Außenkommandos, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, der allen SS-Angehörigen seiner Dienststelle an jenem 24. März den Befehl zu den Erschießungen, die den Anschein von Exekutionen erhalten sollten, erteilt hatte. Nicht alle Angehörigen der Sicherheitspolizei in Rom hatten Erfahrungen in der Exekution von Gefangenen, selbst für einige der Gestapo-Angehörigen war es die erste eigenhändige Tötung eines Menschen - möglicherweise auch für Kappler und für Priebke. Kappler hielt seinen Männern eine Ansprache, in der er für den Fall einer Weigerung mit der SS-Gerichtsbarkeit gedroht haben soll. Aus Führungsgründen sollten die dreizehn SS-Offiziere bei den Erschießungen den Anfang machen. Ein einziger davon weigerte sich anfänglich, wurde dann aber von Kappler überredet. 67Mal wiederholte sich der Turnus der Exekutionskommandos, bis 335 Gefangene zu Tode gebracht worden waren. Fünf davon hatten nicht auf Priebkes Liste gestanden, weil sie von der italienischen Polizei, die fünfzig „Todeskandidaten" gestellt hatte, irrtümlich ausgeliefert worden waren. Als die Männer um acht Uhr abends ihren Platz an Pioniere übergaben, die die Tuffsteinhöhlen sprengen sollten, um den Schauplatz der Tat und die Leichen zu verbergen, hatte fast jeder der SS-Offiziere zwei, jeder der SS-Unteroffiziere vermutlich sechs Menschen getötet. Kappler hatte seinen Auftrag auf die Minute genau erfüllt.

Lutz Klinkhammer, Süddeutsche Zeitung v. 28.08.1996
 


KAPPLER, Herbert (1907-1978), ab 1944 Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in ROM. Als er 1939 nach Rom geschickt wurde, war Kappler SS-Obersturmbannführer. Als Chef des SD in Rom arbeitete er eng mit der italienischen faschistischen Polizei zusammen. Nachdem die Deutschen am 8. September 1943 die Kontrolle über Rom übernommen hatten, wuchs Kapplers Einfluß. Er unterstützte die Vorbereitungen zur Befreiung von Benito Mussolini durch ein SS-Kommando. Er plante die Deportation von 10000 Juden aus Rom. Die »Aktion« begann in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 1943: 1259 Juden wurden festgenommen. Am 18. Oktober wurden 1007 nach Auschwitz deportiert; nur etwa zehn überlebten.
Am 23. März 1944 töteten italienische Partisanen auf der Via Rasella in Rom 33 Angehörige eines deutschen Polizeiregiments mit einer Bombe. Hitler selbst befahl, für jeden getöteten Deutschen zehn Italiener umzubringen. Kappler war, zusammen mit Pietro Caruso, dem Chef der italienischen Polizei, für die Auswahl der Opfer verantwortlich. Auf der Straße Festgenommene, politische Gefangene und Juden wurden zu den Ardeatinischen Höhlen im Süden Roms gebracht, in kleinen Gruppen mit Genickschuß getötet und vergraben; anschließend wurden die Eingänge mit Sprengladungen verschüttet. Insgesamt wurden 335 Italiener in den Ardeatinischen Höhlen getötet, darunter 78 Juden.
Nach dem Krieg nahmen die Engländer Kappler fest und lieferten ihn 1947 an die italienischen Behörden aus. Er wurde vor ein italienisches Militärgericht gestellt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 1977 kam er in ein Krankenhaus in Rom; von dort gelang es ihm zu fliehen. Er starb ein Jahr später in seinem Haus in Deutschland.
 

siehe:
Enzyklopädie des Holocaust, Band II