Home

Offene Ansprache an die Deutschen in Berlin-Spandau anlässlich deren Ausfällen während der Straßenrückbenennung der Kinkelstrasse in Jüdenstrasse am 01.11.2002

Wir kennen Euch alle!

Wir sprechen heute zu Euch, so als alte Bekannte, die wir uns seit über 10 Jahren immer und immer wieder irgendwo in diesem Lande treffen. Und wir kennen uns – und das müsst Ihr zugeben – ziemlich gut.

Wir sind uns in Rostock-Lichtenhagen begegnet, als Ihr uns - nach der Vertreibung der Roma und den Brandanschlägen auf das Wohnheim der VietnamesInnen – mit Euren Visagen und  Blicken von Euren Balkonen begrüßtet, während wir gegen Euer Betreiben demonstrierten.

1995 haben wir uns wieder getroffen, diesmal im Westen, in Ochtendung in der Pfalz, als Ihr Euren geschätzten Nachbarn, Kommunalpolitiker, Architekt und Kriegsverbrecher Lehnigk-Emden (er hatte 1943 in Cajaco-Italien Frauen und Kinder massakriert) in Schutz nahmt und uns als „Neger“ beschimpft habt, weil wir gegen Eure mörderische Volksgemeinschaft demonstrierten.

Zwei Jahre später haben wir Eure Gesichter – wir erinnern uns noch ziemlich genau daran – am Straßenrand und hinter verschlossenen Gardinen in Babenhausen in Hessen gesehen, als Ihr und Euer Jungvolk das Haus des einzig noch dort lebenden Juden, Herrn Merin, abfackelten, um ihn aus Eurem schäbigen Kaff für immer zu vertreiben, was Ihr auch geschafft habt.

Im gleichen Jahr haben wir Euch wieder getroffen – diesmal als Bürgerinitiative, wie jetzt auch mit Eurer „Bürgeraktion“ – in Teltow-Seehof hier in Berlin, als Ihr Eure arisierten Grundstücke vor den Rücknahmeforderung des Eigentümers, eine von den Nazis vertriebene jüdische Familie, retten wolltet.

Danach sind wir uns in Gollwitz, auf Eurem kleinen und engen Vorplatz vor dem Herrenhaus begegnet. Ihr wisst schon, dort wo Ihr mit eurem Bürgermeister gemeinsam den jüdischen Auswanderern aus der ehemaligen Sowjet-Union den Zugang zu Eurem heruntergekommenen Herrenhaus verwehrtet. Da habt Ihr uns als „Polaken“ beschimpft. Was anderes konntet Ihr damals nicht.

Und heute treffen wir uns hier wieder. Und wieder ist alles wie gehabt: Ihr klotzt uns vom Straßenrand an oder verzieht Euch hinter Eure verschlossenen Fenster und Türen – und das trotz Polizeischutz – und klopft Eure Sprüche vor Euch hin.

Sinnloses Unterfangen. Denn wir kennen Eure Gesichter ganz genau. Etwas älter zwar, aber unverwechselbar. Der gleiche hasserfüllte Blick gegen alles und allem was in Eure mörderische Altstadt-Idylle nicht passt, die gleichen Sprüche am Familientisch gegen Juden und Kanaken, die gleiche besoffene Stimme in Eurer Stammkneipe, wenn Ihr gegen die „Andersartigen“ Euren Instinkten freien Lauf lasst. Euer Wahn begleitet Euch – wie ein zweiter Schatten –, überall wo wir Euch treffen. In der U-Bahn oder beim Einkaufen. Am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft. Eben überall.

Wie gesagt. Wir kennen Euch doch ganz genau.

Sogar der Anlass ist immer wieder der gleiche. Kaum hat mit dem Abzug der Roten Armee und den anderen Alliierten die Aufsicht nachgelassen, legt Ihr sofort los.

Diesmal gegen den Vorsitzenden der jüdische Gemeinde zu Berlin, anlässlich der Rückbenennung der Kinkelstrasse in Jüdenstrasse. Einige von Euch haben – obwohl es Euch verboten war – wieder „Juden Raus“ - und andere antisemitische Germanenrufe skandiert. Klar, das kann passieren sagt Ihr, mein Gott, was sollen Deutsche angesichts eines Juden sonst tun. Es stimmt, das kann passieren, darf aber nicht passieren! Auch bei Deutschen nicht.

Noch mal, um das ewige Missverständnis auszuräumen: Auschwitz dient nicht als Erklärung für solche Angriffe, sondern als deren Reglementierung!

Selbst wenn wir es durchgehen ließen, bleibt mit dem Gros der damaligen Kundgebungsteilnehmer und den Anwohnern von Spandau eine Rechnung offen: Niemand hat dagegen etwas unternommen. Die braunen Schreier, die aus der Mitte Eurer Gesellschaftsformation kamen, also Eure Nachbarn und Freunde, konnten unerkannt bleiben. Bis heute. Und das obwohl Eure Medien, Eure Politiker und Eure Judenexperten es Euch beigebracht haben, wie ein Deutscher in solchen Fälle sich zu benehmen hat.  

Schaut mal und nehmt Euch ein Beispiel an der eingeübten Haltung der Opposition im Hessischen Landtag. Der bekannte Rassist und neulich durch ähnliche Schreie wie Eure Mitbürger als Antisemit geoutete Ministerpräsident Roland Koch kriegt zur Zeit durch SPD und Grüne eine ganze Menge ab. Durch die gleichen, die am 8. Mai dieses Jahres in Berlin ihren antisemitische Affront gegen die hier lebenden Jüdinnen und Juden mit einer Walser/Schröder-Talk-Show über Patriotismus veranstalteten.

Ihr aber? Ihr habt  bis heute nicht mal ein Schein-Protest gegen Eure „Entgleisung“ eingelegt. Z.B. „wegen des Ansehens des Stadtteils“, wie Ihr immer wieder euphemistisch betont.

Statt dessen veranstaltet Ihr Bürgerversammlungen und ladet Experten, Historiker und Politiker ein, die Euch dann erklären, warum Ihr das gemacht habt, warum Ihr heute so seid wie ihr seid.

Ihr, die Ihr sonst alles und jeden denunziert, der Euch nicht in den Kram passt, kommt auf einmal mit Toleranz gegenüber den „Übeltätern“ wieder ganz groß raus. Das heißt doch nur, dass Ihr exakt genau differenzieren könnt, wen Ihr zur Denunziation freigebt und wen Ihr schützend und fürsorglich behandelt. Die Täter sind vor Euch und anderem sicher. Wovon sie höchstens belästigt werden, sind Euer zustimmendes Schulterklopfen und Eure verständnisvollen Grimassen.

Gewiß, Ihr seid Euch der Unerstützung Eurer Medien und Eurer Polizei sicher. Weder die TAZ noch die Polizei, die jedes verdächtige Husten hört und als Terrorismus  deklariert, hat irgend etwas während der Rückbenennungsveranstaltung gesehen oder gehört. Und Ihr erst recht nicht!

Was uns noch mehr als Eure Taten ankotzt, ist genau dieses Eure Verhalten danach. Wieder mal nichts gehört und nichts gesehen. Wie viele Jahre wollt Ihr noch damit durchkommen?

Jedes Mal, wenn Ihr von Bevölkerung zu Volk formiert, die gleiche Scheiße. Egal in welcher Aufmachung: Als hartgesottene Friedenssofties oder als Ökofutzis mit exaktem Wissen über allerlei Gifte, sodass man es bei Euch mit der Angst bekommt, als links- oder als rechtsdeutsche, als brave christliche Kirchengänger oder als Fußballfans, als Familienväter oder als Söhne/Töchter, als arbeitende Malocher oder als streikende Bauarbeiter.

Euch über 400-jähriges jüdisches Leben in Spandau, das Eure Vorfahren ausgelöscht haben, zu erzählen wäre eine Beleidigung, eine Blasphemie für die damals hier lebenden Jüdinnen und Juden.

Euch über Auschwitz zu erzählen birgt die Gefahr, dass Ihr die Frage nach der maximalen Aufnahmekapazität der Verbrennungsöfen stellt.

Wenn wir versuchen würden Euch über Antisemitismus aufzuklären, besteht die Gefahr, dass Ihr Euch als die Judaismus-Experten outet.

Und genau da liegt das Problem: Ihr wisst schon so viel über Juden, über ihre Sitten und Gebräuche, über die Art und Weise wie die Vernichtung stattgefunden hat, dass sich die Nazis die Finger danach lecken würden.

Daher sollten wir so was tunlichst vermeiden. Und Euch lieber von Stalingrad und von der Kriegsgefangenschaft – zumal der 60ste Jahrestag naht - erzählen. Von der Eroberung Berlins durch die Rote Armee und von der Bombardierung Eurer Städte durch die Alliierten damals. Von den heute stark anwachsenden jüdischen Gemeinden in teutschland und von Israel, das inzwischen über eine gut ausgerüstete Armee (mit oder ohne Fuchspanzer) verfügt. Um Jüdinnen und Juden im Fall eines Falles zu schützen.

Damit das, was eure Opas und Omas, eure Onkels und Tanten angerichtet haben, keine Wiederholung findet. Damit es für immer und ewig Singulär bleibt. Damit Ihr wieder kuscht und für die nächsten tausend Jahre die Jüdinnen und Juden, die jüdische Friedhöfe und ihre Synagogen in Ruhe lasst.

 Damit Ihr beim nächsten Anlass einen Bogen um die Objekte Eurer Begierde macht.

 

Wenn AntisemitInnen angreifen, sorge dafür, dass sie es nie wieder tun

 

Café Morgenland                                                                              Teutschland, 14.12.2002


Zum Seitenanfang