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    Fluchschrift
    Nr.1 / Juni 1992 / Frankfurt/M. 
    - Gegen das organisierte Deutschtum. Für den Wiederzusammenbruch -



     
    Inhalt:
    Linksdeutsche Miserere 
    Eine falsche Ansicht wird 100
    Exzess

    Linksdeutsche Miserere 

    Die deutsche linksradikale Szene tut sich außerordentlich schwer mit der Bevölkerung dieses Landes. Sie will und kann die Deutschen nicht so beurteilen, kritisieren oder bekämpfen, wie es dem Bewußtsein und den Handlungen der Deutschen angemessen wäre:
    Dieses Volk ist rassistisch, antisemitisch, revanchistisch, chauvinistisch und kulturimperialistisch, in Theorie und Praxis. Seit der Wiedervereinigung mit neuem Selbstbewußtsein ausgerüstet, diskutiert es zu Hause, am Tresen und Stammtisch, auf der Arbeit, in den Medien, im Parlament "Lösungen" des "Asylantenproblems" (wie sie und ihre Regierung es nennen), die vom "soften" Rassismus (Multikultur) bis zum Rückgriff auf bekannte deutsche Methoden reichen. Konzentrationslager, Gaskammern, Dachau und Auschwitz sind für Deutsche keine Tabus. Diese "Lösungen" sind für ganz normale Mitglieder dieser Bevölkerung möglich, denkbar und machbar.1)Und weil Deutschland die Durchführbarkeit von "Endlösungen" praktisch bewiesen hat, wird sich das Volk seiner Traditionen immer erinnern und in ihre "Lösungsvorschläge" mit einbeziehen. Dieses Vernichtungspotential im deutschen Volk begründet sich vor allem in der Ermordung der europäischen Juden. "Auschwitz, das Gründungsverbrechen der postfaschistischen Gesellschaft, ist es, was dem Nationalismus hierzulande eine besondere Schärfe gibt." stand in einem Flugblatt. Deutsche Lösungen sind gründliche Lösungen. In Arbeitsteilung. Während die einen Auschwitz relativieren und Sammellager für Flüchtlinge einrichten, greifen andere Flüchtlingswohnheime an und drohen mit Auschwitz.

    Diese oder eine ähnliche Beurteilung des deutschen Volkes erlaubt sich die linksradikale Szene nicht. Sie, die ansonsten vom gesamten Habitus her so macht, als hätte sie wenig mit diesem Volk gemeinsam, möchte es gegenüber diesen "Vorwürfen" in Schutz nehmen. Die Ansicht ist zu "undifferenziert", ist zu total. Alle sind damit gemeint. Aber: "Es sind doch nicht alle so ! Warum gestehen wir diesem Volk (oder Teilen davon) nicht zu, sich genauso politisch zu entwickeln wie wir selbst." Die größten Gesellschaftskritiker geben sich hier populistisch und lassen sich ihr eigenes Volk nicht vermiesen.

    Zwar kennen sie auch die Fakten; wissen und merken, daß der "Zustrom der Massen" nach linksradikal noch nicht einmal ausreicht die Verluste nach Liberal oder Rechts auszugleichen; sehen sie auch wie die kommunistischen (linksneudeutsch: emanzipatorischen) Bestrebungen mit Unterstützung der früheren Anhänger fertiggemacht werden, daß das deutsche Volk ihnen auf ihre Ziele und Kämpfe ein dickes Ei legt und sie gleich alle mit der "Aufarbeitung von DDR, Stasi usw." hinter Gitter haben will. "Ich möchte die Leute nicht aufgeben" sagt jemand in einer dieser Szene typischen omnipotenten Selbstüberschätzung über Leute, die ihn schon lange aufgegeben haben, seit er linksradikal ist und die ihn aufgeben, solange er es bleibt. "Kann sich alles noch ändern, wir müssen Perspektiven entwickeln und geben", lautet die Durchhalteparole.

    Sie wollen nicht wahrhaben, daß bei der erdrückenden Mehrheit eine Differenzierung irrelevant ist, ein radikales Promille überhaupt nicht ins Gewicht fällt. "Ich hatte nur mit einigen (...) zu tun, und ihnen gegenüber bildeten die vielen, die mir schon als alle erscheinen mußten, eine übergewaltige Majorität. ...Die vielzuvielen waren keine SS-Männer, sondern Arbeiter, Kartothekführer, Techniker, Tippfräuleins - und nur eine Minderheit unter ihnen trug das Parteiabzeichen. Sie waren, nehmt alles nur in allem, für mich das deutsche Volk." schreibt Jean Amery über den Nationalsozialismus. Der Druck der gewaltigen und gewalttätigen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland drückt den Linksradikalen aufs Gehirn und schlägt ihnen auf den Magen. Das geht uns genauso. Aber nicht die linksdeutsche Anpassung mit massenwirksamen, populistischen Programmen kann die Konsequenz sein. Im Gegenteil: Rücksichtslose Kritik an jeder Art und Weise, wie sich dieses Volk national und international aufführt. Und auch rücksichtslos gegenüber allen linksradikalen Versuchen, dieses Verhalten zu verharmlosen ("Rassisten gibt es überall !"), zu entschuldigen , zu rechtfertigen und womöglich noch zu organisieren (Skinhead-Konzert im Exzess). Durch diese Kritik wird es vielleicht möglich, so etwas wie linksradikalen Widerstand, der nicht abhängig von der politischen Konjunktur und nicht siegesdeutsch angestrichen ist, zu erhalten oder zu entwickeln. 

    Um den Widerspruch zwischen erklärtem "emanzipatorischen" Ziel und der augenblicklichen Verfassung dieser Massen auszuhalten, bedarf es in der linksradikalen Szene nicht nur eines respektlosen Umgangs mit den Tatsachen, sondern auch einer traditionellen, aber trotzdem konfusen, linken Theorie: 

    Wer mit diesem Volk noch "Großes" vorhat und sich immer noch überlegt mit welchen pädagogischen und sozialpsychologischen Methoden es therapiert werden kann, obwohl alle Zeichen auf nationalistischen und rassistischen Sturm stehen, macht zu ihm ein taktisches Verhältnis auf. Das Bewußtsein und das Verhalten der deutschen Bevölkerung wird ein Kalkül in der linksradikalen Strategie. Alles, was die Leute fühlen, denken oder tun, kann nicht für das genommen werden, was es auch ist (z.B. rassistisch), sondern ist "Ausdruck von etwas" (Anderem).
    Der entsprechende linke Begriff dafür ist dann "eigentlich" (oder früher "objektive Interessen"). So ist der Rassismus des deutschen Volkes keine eigentümliche Art und Weise einer gesellschaftlichen Weltanschauung und Handlung, sondern "eigentlich" eine Reaktion auf seine Nöte und Mißerfolge in der Konkurrenz ("Rebellion ist gerechtfertigt" schrieb ein linksradikaler Zusammenhang zum Pogrom in Mannheim/ Schönau). "Eigentlich" will es sich gegen die Zumutungen der bürgerlichen Gesellschaft wehren (gut), bedient sich aber, durch "die Herrschenden manipuliert" und mangels Durchblick, eines falschen Mittels: Rassismus (schlecht). Der Rassismus ist dem deutschen Volk somit nicht "eigentlich", sondern "eigentlich" fremd. 

    Was nicht begriffen wird (oder werden will) ist, daß der Rassismus eine Erklärung gesellschaftlicher Veränderung ist und nicht der fehlgeleitete Ausdruck der Sehnsucht nach dieser Veränderung. Diejenigen, die sich die Gesellschaft mit rassistischer Ideologie erklären und danach handeln, wollen, daß diese Gesellschaft bleibt wie sie ist. Nur ohne die Widersprüche, die die Konkurrenz der bürgerlichen Gesellschaft zwangsläufig hervorruft, z.B. Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot etc. Ihr Handeln befindet sich nicht gegen, sondern im gesellschaftlichen Konsens rassistischer Politik. Mehr noch: Die praktischen Rassisten, die die Flüchtlinge und MigrantInnen angreifen und töten, demonstrieren, wie sie sich die staatliche Politik gegenüber den Flüchtlingen vorstellen. Die Lynchjustiz ist die Forderung nach der Todesstrafe, der Pogrom die Forderung nach dem staatlichen Vernichtungsprogramm. 

    Wenn (so diese linke Logik weiter) der im tiefsten Inneren "gute" Volkswille von "den Herrschenden in deren Interesse manipuliert" wird und werden kann, dann kann dieser Volkswille auch wieder hervorgebracht oder "links" gewendet werden. Anstelle radikaler theoretischer und praktischer Kritik tritt die Aufklärung über die "eigentlichen Zusammenhänge". So muß der Masse erklärt werden, daß ihr rassistischer Protest und Angriff auf Flüchtlinge und MigrantInnen in Wirklichkeit ein fehlgeleiteter Protest gegen die sozialen Verhältnisse in der BRD ist. Eine Verharmlosung und Entschuldigung, die in der deutschen Linke Tradition hat. Die heutige Linke "ähnelt hier dem marxistischen Antisemitismustheoretiker, der im Judenhaß einen annehmbaren Kern erkennen will. Für diesen Theoretiker steht das 'Juda verrecke' als unaufgeklärte Einkleidung für die an sich erstrebenswerte Beseitigung von Zins und Geld. Im Judenverfolger wird der Genosse erkannt, dem lediglich die marxistische Schulung fehle."(Heinsohn,1988)(Siehe auch Artikel: Eine falsche Ansicht wird 100)

    Diese Linke, die das deutsche Volk so umsorgt, Kritik an den Massen möglichst vermeidet und "Erziehung" und "Therapien" empfiehlt, ignoriert nicht nur den aktuellen Zustand dieses Volkes, sondern ignoriert auch dessen Taten in der Geschichte. Mehrheitlich waren die Deutschen in irgend einer Funktion (und wenn sie noch so banal erschien) an der Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus beteiligt. Und sie werden es wieder tun, wenn es auf höchster Ebene beschlossen wird, und es wieder ganz normal finden, wenn sie von Angriffen, Vertreibungen, Ermordungen mitbekommen (oder mitmachen). Den Linksradikalen ist es noch nicht einmal im Bewußtsein, daß sie dies zum Thema machen und damit reflektieren müßten.

    So ist es durchaus typisch, wenn ein fast 30 jähriger Linksradikaler erklärt: "Mein Geschichtsbewußtsein beginnt erst ab 1945". Und er meint es nicht selbstkritisch, sondern möchte damit signalisieren, daß er auch nicht willens ist, große Anstrengungen in der Versuch einzubringen, die Zeit vor 1945 auch nur ansatzweise begreifen zu wollen. Warum dieser junge Mann mit seiner vorhergehenden Generation ("Gnade der späten Geburt" (Kohl)) die gleiche Meinung teilt, wird ihn dabei wohl kaum groß stören.
    Auch typisch ist, wenn eine junge Frau erklärt, daß sie sich das Datum 8. Mai 1945, als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, nicht auch noch merken könne und sich total überfordert fühlt, obwohl sie sich doch den 8. Mai 1992, der Tag an dem im Exzess ein Skinhead-Konzert stattfand, gemerkt hatte. Es kommt eben darauf an welche Daten sie im Kopf hat und nicht wie viele. 

    Was diese Menschen noch in ihrer offenen Naivität äußern, bekommt bei anderen eine theoretische Weihe. So kritisieren die Verfasser eines linksradikalen Papiers 1990 die Gleichung: "Deutschland denken heißt Auschwitz denken!" folgendermaßen:
    "Mit dieser Gleichung landet Geschichte in der Tiefkühltruhe: Wir frieren Geschichte ein, anstatt aus ihren Veränderungen, Brüchen heraus unsere Kämpfe mitzubestimmen. Mit dieser Gleichung bringen wir 40 Jahre BRD-Geschichte und -Kämpfe zum Schweigen. Und das ist ganz und gar nicht zufällig: auf dieses Nachkriegsdeutschland haben wir weitaus weniger Antworten als auf seine faschistische Vergangenheit." Welche Antworten sie auf die faschistische Vergangenheit Deutschlands haben, sagen sie nicht. In welche politische Richtung diese aber gehen, läßt sich schon dadurch erahnen, daß sie im gesamten Papier Antisemitismus und Ermordung der Juden noch nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Die nachfolgenden Generationen der TäterInnen üben sich in Verdrängung. 

    "Weil es Auschwitz gab, heißt, an Deutschland denken gerade auch an Widerstand denken" schreiben sie weiter. 6 Millionen tote Juden sind nicht der Beweis eines Widerstandes, sondern geschlossener Reihen: Fast jede/r Deutsche hat seinen großen oder "bescheidenen" Beitrag zum Vernichtungsprozeß geleistet, ob in der Fabrik, an der Uni, bei der Reichsbahn, im faschistischen Staatsapparat, in der Armee usw., usf. Und sie hatten kein schlechtes Gefühl dabei, sie fanden es vollkommen normal und in Ordnung. Der gesellschaftliche Vernichtungsprozeß war total. 
    Die deutsche Volksgemeinschaft, auch über die Vernichtung der europäischen Juden hergestellt, macht eine der Stärken der heutigen bundesrepublikanischen Gesellschaft aus. Die historischen Revanchisten wissen es zu würdigen:
    "Zwar war Hitler als Wortführer gegen den gesamten emanzipatorischen Prozeß angetreten, der den Übergang in die moderne Welt begleitete. Tatsächlich aber hat er, was er aufhalten wollte, gerade beschleunigt und beispielsweise die egalitäre Gesellschaft geschaffen oder doch entscheidend vorbereitet, der die Bundesrepublik im wesentlichen ihre innere Kompromißfähigkeit und damit ihre Stabilität bis heute verdankt. Vielleicht hat keine seiner Parolen so nachhaltige Zustimmung gefunden wie die der 'Volksgemeinschaft', die einem verbreiteten Empfinden für das Überlebte, provinziell Erstarrte der sozialen Wirklichkeit im damaligen Deutschland entgegenkam und folglich nach 1945 von allen bruchlos fortgesetzt worden ist." (J. Fest, Was von Hitler blieb, in: FAZ v. 20.4.1989)

    Im Herbst 1991 erreichen die rassistischen Anschläge ihren vorläufigen Höhepunkt und es ist nicht erkennbar, daß in dieser Gesellschaft irgend eine größere Kraft existiert, die der nationalen und rassistischen Offensive etwas entgegensetzen könne. Und trotzdem läßt sich die linksradikale Szene das Vertrauen in die eigene "Stärke" und die Hoffnung in eine erfolgreiche Zukunft in Deutschland nicht nehmen. Den Hinweis, wie er im Beitrag "Exzesse" auch enthalten ist, daß ohne die Zerstörung Deutschlands hier eine befreite Gesellschaft nicht möglich sei, wollen und können sie nicht ernst nehmen. Für sie ist diese Kritik ein überzogenes Gefühl von AusländerInnen, die sie "verstehen", aber nicht annehmen können. Sie haben das Gefühl, daß ihnen eine "Perspektive" genommen wird. Hoffnung auf eine bessere Bevölkerung und eine bessere Gesellschaft ist der Motor ihrer politischen Arbeit. Und wo radikale Gegnerschaft notwendig wäre, werden anbiedernd Gemeinsamkeiten unterstrichen. Die Übergänge und Brücken werden gezimmert.

    Wir aber sind nicht bereit uns theoretisch und politisch auf den Standpunkt zu stellen, zu dem andere sich durch die Übermacht der gegebenen Verhältnisse regelrecht gezwungen fühlen. Das Sein verstimmt bzw. überstimmt das Bewußtsein. 


    Eine falsche Ansicht wird 100

    Auf die völkische Wiedervereinigung der Deutschen, die dem rassistischen Potential in Ost wie West so richtig zum Durchbruch verhalf, reagierte die radikale Linke nach altbewährten Mustern: die durch Glatzen erkennbaren Faschos schlagen und zugleich die Täter und die rassistische Bevölkerung zu Opfern von Wohnungsnot und Verelendung zu erklären. Damit wird Rassismus in Deutschland 1992 entpolitisiert. 

    Dies ist auch der Hintergrund für die Auseinandersetzung um ein Konzert in einem linksradikalen Zentrum in Frankfurt, zu dem Skinhead-Fans erwartet wurden - und auch zahlreich erschienen.
    Neben der subkulturellen Lust an "militanter" Musik, waren alle Argumente für dieses Konzert, in aller Naivität geäußert, Versatzstücke einer traditionellen linken Theorie, die die gesellschaftliche Situation in Deutschland nach der Wiedervereinigung verharmlost.
    - Der starke Satz, "wir sorgen schon für Euren Schutz", war die Ignoranz gegenüber den MigrantInnen, ihrer Situation, d.h. dem alltäglichen Rassismus und der besonderen Bedrohung durch Skins, die keine deutschtümelnden Kompromisse zuläßt.
    - "Skins sind nur dumme Jungs", die nicht wissen was sie tun, die, anstatt gegen Staat und Kapital zu kämpfen, die angebotenen Sündenböcke, sprich AusländerInnen, für ihr Elend verantwortlich machen. Hier werden Täter zu Opfern erklärt, was der erste Schritt zur Entsolidarisierung mit der bedrohten Minderheit und der Anschluß an die "Nöte"-Gemeinschaft der Mehrheit ist.

    Diese Ansicht hat in der deutschen Linken Tradition: Die Erklärungsmuster der radikalen Linken gleichen auf verblüffende Weise denen der Sozialdemokratie vor 100 Jahren für den politischen Antisemitismus. Deren Klassen-Analyse war zugleich die Ignoranz gegenüber der bedrohten Minderheit. Es fehlte eine Einschätzung von dem Potential der Vernichtung des völkisch-rassistischen Judenhasses in der deutschen Bevölkerung und an Initiative gegen den Nationalismus. Es geht hier nicht um den historischen Vergleich oder um die Erklärung des politischen Antisemitismus oder gar um den falschen Vergleich mit dem Rassismus. Es geht um das Selbstverständnis der Linken, die geschichtslos, an der Tradition der Analyse und Ignoranz anknüpft, ohne sich je mit dieser auseinandergesetzt zu haben.


              Sozialdemokratie 1893:
    "Der Antisemitismus entspringt der Mißstimmung gewisser bürgerlicher Kreise, die sich durch die kapitalistische Entwicklung bedrückt finden und zum Theil durch diese Entwicklung dem wirtschaftlichen Untergang geweiht sind, aber in Verkennung der eigentlichen Ursache ihrer Lage den Kampf nicht gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem ... richten." 
    (August Bebel, Kölner Parteitag 1893, zitiert nach: Paul W. Massing, Vorgeschichte des politischen Antisemitismus, Frankfurt/M. 1986, S.169)

    Antifa 1992:

    "Die Unzufriedenheit ist der Boden, der immer mehr hoffnungslose Jugendliche den Nazis zutreibt. Diese jungen Leute wären vorher eher nach links tendiert und hätten im Klassenkampf ihre Rechte erkämpft anstatt sich, ohne sich dessen bewußt zu sein, den Schuldigen für ihre Situation, dem Kapital, durch ihr Handeln in die Hände zu spielen." (Antifa-Info/ Frankfurt Nr.3, April 1992)

    Sozialdemokratie 1893:

    "Die Stärke des Antisemitismus ist die Unklarheit, Unbestimmtheit, Selbsttäuschung über die Natur dieser Übel ... Bei den Massen des Volkes wird der Antisemitismus nur da Anhang gewinnen, wo die Sozialdemokratie noch nicht Licht in die Köpfe gebracht hat oder wo noch - wie bei Kleinbauern und Kleinbürgern - das falsch verstandene Interesse den Blick trübt." (Eduard Bernstein, 1893, zitiert nach Massing, S.170) 

    Autonome Antiimps 1990:

    "... Was ist Nationalismus und wem nützt er? Nationalismus in kapitalistischen Ländern hat Gründe: Er soll - im Interesse der Herrschenden - die Klassenwidersprüche verdecken. - das heißt für die heutige Situation: Wohnungslosigkeit, Armut, sozialer Abstieg sollen nicht den Verantwortlichen angelastet werden, sondern anderen Armen." 
    (Autonome AntiimperialistInnen Frankfurt/M., Flugblatt: Nie wieder Deutschland!, 1990) 



    Den Sozialdemokraten galt der Antisemitismus, so abstoßend er auch auftrat, als Ausdruck eines antikapitalistischen Protestes. Auf der Grundlage des "objektiven Ganges der Geschichte" würde diesem "irrationalen Protest", vermittels aufklärerischer Politik der Sozialdemokratie, die rationale Erkenntnis in die eigentlichen Ursachen der Verelendung folgen - der Kampf gegen den Kapitalismus. Sie waren überzeugt, daß der Sozialismus die einzige Lösung der "Judenfrage", und damit des Antisemitismus, sei. Auch deshalb verteidigten sie nicht die Juden als Juden, sondern lehnten nur den politischen Antisemitismus aus Prinzip ab. (vgl. Massing, S.105 u. 107)

    Nach ihrer Klassenanalyse war der Antisemitismus als Massenerscheinung fast ausschließlich eine Ideologie des untergehenden Mittelstandes, der sich über kurz oder lang mit der revolutionären Arbeiterklasse verbünden würde. "Völlig verfangen in dem Dogma, es gäbe keine andere Wahl als die zwischen Kapitalismus und Sozialismus, hielten sie jedoch die antikapitalistische Seite des völkischen Antisemitismus für revolutionär in dem einzigen Sinne, dem der Sozialismus dem Begriff zu geben pflegte. Was die Welt später als Faschismus kennenlernte, war der sozialistischen Welt noch unbekannt" - noch hatte sie die Geschichte nicht widerlegt. (Massing, S. 109)

    Die Linke heute denkt - ob sie die sozialdemokratische Theorie und Politik kennt oder nicht - in dieser Tradition: Rassismus, Überfälle auf MigrantInnen sind ein Reflex der sozialen Lage der Täter, auf Wohnungsnot, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit. Die Faschisten schlagen auf von den Herrschenden angebotene Sündenböcke ein, anstatt sich ihrer "sozialen Rebellion" bewußt zu werden. Nach dem Motto: "Rebellion ist gerechtfertigt. Aber so geht es nicht!" (Überschrift eines Aufrufes für eine Demonstration nach Mannheim/Schönau)

    Es ist eine Tradition, die die Geschichte dieses Landes ignoriert. Die Taten der deutschen national-völkischen Revolution ab 1933, die Vernichtung der europäischen Juden, wird nicht in die Herzen und Analyse aufgenommen.
    Die Besonderheit, die "Einmaligkeit" des deutschen Faschismus bleibt verschlossen, wenn man allein auf der Suche nach einer Identifikation mit dem Widerstand ist. Und so gibt die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Widerstand gegen die Nazis mehr her, als eine Beschäftigung und Einfühlung in die Lage der Opfer und die Auseinandersetzung mit der Gemeinschaft der Täter, Mittäter und Gaffer, die in Deutschland eher eine Tradition darstellt als der Widerstand. Es fehlt ein Interesse und wirkliches Wissen über die Aktivitäten und Politik der Nazis, den Massakern der mobilen Tötungseinheiten an den Juden in Zusammenarbeit mit der Wehrmacht, der Besatzungspolitik in Polen und der Sowjetunion, dem Regime in den Ghettos und den Vernichtungslagern. Das Ergebnis ist eine Analyse des Nationalsozialismus, als terroristischer, bürokratischer Polizeistaat, der unmittelbar im Interesse des Großkapitals arbeitete, und auf der Benutzung des Rassismus als einem Mittel für den gesellschaftlichen Zusammenhalt beruhte. Eine Analyse, die die Klassenfunktion hervorhebt, und den Antisemitismus als Randerscheinung behandelt. Die Linke nach Auschwitz blendet die Ideologie des Antisemitismus, seine Massenwirksamkeit, die Popularität des Nazi-Regimes und die daraus folgenden Taten, den Holocaust, aus. 

    Demgemäß spricht man lieber vom Faschismus als vom Nazismus. Und der falsche Faschismusbegriff hat sich seit Dimitroff (1935) nicht wesentlich geändert: "Der Faschismus fängt im Interesse der reaktionärsten Kreise der Bourgeoisie die enttäuschten Massen ein, die sich von den alten bürgerlichen Parteien abkehren. ...Der Faschismus ist ... die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. ...Dem Faschismus gelingt es, die Massen zu gewinnen, weil er in demagogischer Weise an ihre brennendsten Nöte und Bedürfnisse appelliert." (Georgi Dimitroff, Arbeiterklasse gegen den Faschismus, Mannheim 1975, S.9ff.)
    Antisemitismus spielt in dieser Analyse keine Rolle. Die bereits gebrandmarkten Opfer, die Juden, kommen nicht vor: "Der Faschismus ist die Macht des Finanzkapitals. Das ist die Organisierung der terroristischen Abrechnung mit der Arbeiterklasse und dem revolutionären Teil der Bauernschaft und der Intelligenz." (ebd.)
    Antisemitismus als Volksbewegung, der Charakter des Nationalsozialismus als Massenbewegung wird negiert: "Der Faschismus entfacht nicht nur die in den Massen tief verwurzelten Vorurteile, sondern er spekuliert auch mit den besten Empfindungen der Massen, ihrem Gerechtigkeitsgefühl und mitunter sogar ihren revolutionären Traditionen. Warum spielen sich die Faschisten, diese Lakaien der Großbourgeoisie und Todfeinde des Sozialismus, vor den Massen als "Sozialisten" auf und stellen ihren Machtantritt als ´Revolution´ hin?" (ebd.)

    Die Linke wiederholt diese Fehler, wenn sie Form und Inhalt, rassistische Propaganda und Taten von unterstellten "eigentlichen, realen Nöten" und Interessen trennt. "Ein Großteil der Stiefelfaschisten ist unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, beschissene Wohnung, kein Geld, keine Arbeit, keine Perspektive. Wie immer wird ein Sündenbock gesucht und gefunden, und auch von staatlicher Seite angeboten: die AusländerInnen." (Antifa-Info)
    Selbst wenn man, wie hier, Rassismus als besondere Therapie für verallgemeinerte Not betrachtet, bleibt ungeklärt, warum eine bestimmte soziale Situ+ation reflexartig hervorbringt, AusländerInnen zu bedrohen oder anzugreifen. Der Rassismus ist keine direkte Reaktion auf reale Umstände. Er ist Interpretation und Konzept der Erklärung der Realität und zugleich Handlungsanleitung. Umgekehrt: der Rassist modelliert und interpretiert sich die Wirklichkeit, wie er sie verstehen will: Er ist Herrenmensch im Pakt mit den Herrschenden.

    Nur wenn man die Täter als "dumme Jungs" sehen will, und die Behauptungen der Neonazis als partiell richtig akzeptiert, kann man unterstellen, es ginge ihnen um die Verbesserung ihrer sozialen Situation, daß ihr Reden und Handeln einen rationalen Kern hätte, an dem durch Aufklärung anzusetzen wäre. Juden und Ausländer sind nicht einfach nur Sündenböcke, die in Verkennung der wahren Lage herhalten müssen, sie sind als Opfer für alles und jedes bereits ausgemacht. Nicht um Beseitigung von sozialen Mißständen geht es den Faschisten, sondern um Rache und Macht; ihr Wunsch ist es andere leiden zu lassen.
    Für die Rassisten gilt genauso wie für die Antisemiten, sie "haben im Grunde immer gewußt, sie würden am Ende selber nichts davon haben als die Freude, daß die anderen auch nicht mehr haben. ... Der eigentliche Gewinn, auf den der Volksgenosse rechnet, ist die Sanktionierung seiner Wut durchs Kollektiv. ... Gegen das Argument mangelnder Rentabilität hat sich der Antisemitismus immun gezeigt. Für das Volk ist er ein Luxus." (M. Horkheimer/ Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Philosophische Fragmente, Frankfurt/M. 1969, S. 179)

    Wer den Faschisten und ihrer Anhängerschaft vorrechnet: "Aber nimmt der Kurde Arbeit weg, der mit 5 jährigem Arbeitsverbot als Flüchtling belegt ist, nimmt die Iranerin eine Wohnung weg, die im Wohncontainer haust ...?" (Antifa/Info), läßt sich auf den herrschenden Konsens dieser Gesellschaft ein, nachdem es keine Selbstverständlichkeit ist, Menschen ein Lebensrecht in diesem Land zuzugestehen, einfach weil sie dort leben möchten. 

    Der falschen Analyse folgt die Praxis, Aufklärung und Alternativen anzubieten, die Gewinnung der potentiellen Anhängerschaft der Faschisten für sich: "... Wir müssen sie wieder für uns gewinnen, indem wir real etwas anbieten, was jetzt greifbar sein muß, eine menschliche, solidarische Zukunft. ... Antifaschismus (darf) nicht stehenbleiben beim Kampf gegen die Faschisten, sondern muß die Menschen aufklären, muß Alternativen anbieten zu den bestehenden Verhältnissen." (Antifa-Info/ Frankfurt Nr.3, April 1992)
    Wer den Nazis und ihren Anhängern, die "hoffnungslos und perspektivlos sind", eine Alternative bieten will, begreift nicht, daß sie in Deutschland 1992 längst eine Perspektive haben. Sie sind eins mit dem rassistischen Konsens der deutschen Bevölkerung. Deutschland den Deutschen; das Boot ist voll. Es ist nur eine Frage der Arbeitsteilung, ob man MigrantInnen abschiebt, kriminalisiert, totschlägt, oder beim Einkaufen und in Verkehrsmitteln ein Klima der Bedrohung und Gleichgültigkeit schafft. Dieser gesellschaftliche Konsens ist die Grundlage für die massiven Angriffe auf AusländerInnen nach der Wiedervereinigung. Da wächst zusammen, was zusammengehört. Die Skinheads befinden sich im gesellschaftlichen Konsens mit der rassistischen Regierungspolitik ebenso wie mit der Stimmung der Mehrheit, denen es gemeinsam um ein starkes Deutschland geht. Diese Gemeinschaft wird zusammengeschweißt durch Ausgrenzung des Nichtdeutschen.

     Die AntifaschistInnen mit ihren Erklärungsmustern nehmen die deutsche Sichtweise ein, und auch sie kochen ihr politisches Süppchen auf dem Rassismus. Die Täter werden zum Opfer der sozialen Verhältnisse erklärt, und dies als Ansatzpunkt für linksradikale Praxis gesehen. Die deutschen Parteien haben ihre Protestwähler, die Linken ihre Protestschläger.

    Dies ist nicht nur eine grobe Verharmlosung zerstörerischen Potentials in der deutschen Bevölkerung, sondern MigrantInnen kommen in dieser Auseinandersetzung nicht vor, nur als schutzwürdige Opfer der "Opfer" oder als alternative Therapeuten für deutsche Linke. "... Aber wir haben eine verdammt gute Chance, hier gegen den Nationalismus und Rassismus vorzugehen. Wir leben hier zusammen mit vielen kämpfenden Menschen aus anderen Ländern. Wir können Internationalismus praktisch machen (und z.B. den Metropolenchauvinismus, der uns allen in den Knochen steckt und eine Form von Nationalismus ist, ganz praktisch knacken). ..." (Autonome AntiimperialistInnen Frankfurt/M., Flugblatt: Nie wieder Deutschland!,1990)

     Was immer "Internationalismus praktisch machen" heißt, wenn AusländerInnen "Ausländer raus" und "verrecke" brüllen hören, dann haben sie nicht das Problem, ob der Täter vielleicht seine soziale und ökonomische Situation mißdeutet. Die Konfrontation ist eindeutig und klar. 

     "Die Antisemiten haben zu bewältigen, nicht ich. Ich würde ihnen in die unsauberen Hände spielen, wollte ich untersuchen, welchen Anteil an den Judenverfolgungen religiöse, ökonomische und andere Faktoren haben. Wenn ich mich einließe auf derlei Untersuchungen, würde ich nur der intellektuellen Düperie (Betrug, Täuschung) sogenannter geschichtlicher Objektivität aufsitzen, vor der die Ermordeten so schuldig sind wie die Mörder, wenn nicht gar schuldiger. Ein Wunde wurde mir geschlagen. Ich habe sie zu desinfizieren und zu verbinden, nicht nachzudenken, warum der Schläger die Keule hob, und im erschlossenen Darum ihn halb und halb zu diskulpieren (entschuldigen)." (Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne, Bewältigungsversuche eines Überwältigten, München 1988, S.112)
     

    Noch mal zum Konzert im EXZESS

     

    Die Ereignisse in Schönau und die Gegenmobilisierung lassen einen politischen Streit in den Hintergrund treten, der weder ausgetragen noch gelöst wurde. Auch auf die Gefahr hin, als "Nörgler" beschimpft zu werden, die keine "konstruktive" Kritik bringen (soll heißen eine, die nicht in die Konstrukte der linksradikalen Bewegung passen) wollen wir diese "Leiche im Keller" an die frische Luft bringen: Konzert im Exzess am 8. Mai.

    Ob das EXZESS mit der Veranstaltung des Konzertes am 8. Mai die Zerschlagung des deutschen Nationalsozialismus und die Hinderung des deutschen Volkes an weiteren Verbrechen, feiern wollte, ist leider zu bezweifeln. Denn ausgerechnet die Einladung der Gruppe "Blitz", die auch eine Skin-Kultband ist, und die Skins durch dieses Konzert selbstverständlich auch nach Ffm-Bockenheim mobilisiert, spricht dagegen.
    Das Exzess hält den 8. Mai in anderen Ehren. Willi Brandt warnte 1984, am 8. Mai "wieder tiefer in die alte Kiste reinzugreifen". Im Interesse der heranwachsenden Generation solle der Jahrestag "nicht dazu verführen, den einzelnen Menschen weismachen zu wollen, sie hätten das verbrochen." (Spiegel, 24.12.84) Im Rahmen der "neuen deutschen Geschichtsschreibung" ist es selbstverständlich für junge linke Menschen, sie sind "fortschrittlich", den ollen Willi rechts zu überholen und noch einen draufzusetzen, indem sie am 8. Mai 1992 die Skinhead-Band "Blitz" einladen.
    Nun hätten die VeranstalterInnen, spätestens nachdem ein massiver Protest von AusländerInnen vorlag, diese politische Dummheit durchaus leicht bereinigen können, wenn sie das Konzert kurzerhand abgesagt hätten. Der Protest wurde ja auch in einer Weise vorgetragen, der allen Beteiligten und Interessierten signalisierte, daß es durch Diskussion zu einer Klärung der Angelegenheit hätte kommen können.

    Aber der Protest und die Forderung es abzusagen, hatten keinen Erfolg.
    Sie wollten ein Fest machen, Spaß und gute Laune haben. Und das wurde es ja auch. Die Skinheads haben sich prächtig amüsiert. Es wurde völlig uninteressant, ob nun die Vergangenheit der Oi-Musik faschistisch ist oder nicht, die anwesenden Skinheads, ob rechts oder links, verhielten sich wie deutsche Herrenmenschen: Sie ließen wie ihre Väter in Kenia oder Thailand einfach mal die Sau raus. Breitbeinig, Flaschbier bewehrt torkelten sie vor dem Exzess, pinkelten an die Hauswand, ohne Rücksicht auf Anwesende und Bewohner des Stadtteils, rücksichtslos gegenüber moralischem, sittlichem und emotionalem Empfinden. Sie hatten den Kebab-Laden unter ihrer Kontrolle und den Stadtteil besetzt. Die linken "Kämpfer" guckten untätig zu und manche machten auf ratlos. Die Geister, die sie riefen ... 

    Das Konzert ist gelaufen, die Kacke am Dampfen. Und Vieles auch nicht mehr gutzumachen, obwohl sich doch alle so "redlich" bemühen. Oder zumindest so tun. Außer einige der direkten VeranstalterInnen übt sich die Szene in Selbstkritik, getreu dem Motto: "Ehrlich ! Wird nie wieder vorkommen !". Andere nehmen die Ereignisse überhaupt nicht wahr. Sie machen nach dem 8. Mai weiterhin im Exzess politische Veranstaltungen, ohne die Ereignisse vor dem 8. Mai im Exzess zu reflektieren.
    Es gibt vielerlei Reaktionen, die aber alle eins gemeinsam haben: sich nicht öffentlich dazu zu äußern. "Alte" Polit-Hasen werden politisch immer dümmer, bemängeln die fehlende Einheit und wollen den Inhalt nicht zur Kenntnis nehmen. Der ganze Streit wird bei ihnen zu einer Frage der Harmonie, der Kommunikation. Oder noch "ältere" halten das ganze für "Kinderkram", nach dem Motto "Wie die Szene nun mal so ist". Und noch mehr wird hinter vorgehaltener Hand getratscht. Die Wirkungen bleiben nicht aus: So wurde z. B. ein Vorbereitungstreffen für weitere Aktionen in Schönau von Menschen boykottiert, die sich unbedingt im Exzess treffen wollten. 

    Politisch wird die gesamte Angelegenheit heruntergespielt. Ignoriert wird, daß sich die deutsch-nationale Konsensfindung insbesondere in Bereichen durchsetzt, die als "politisch" neutral gelten: Kulturell (Konzerte von Punks und Skinheads), sportlich (Linke Liste veranstaltet am KOZ Fußballfernsehtag: Nationalmannschaft und/oder Eintracht-Frankfurt), ökologisch (auch Linksradikale unterstützen das staatliche Volkserziehungsprogramm "Getrennt-Sammeln"). Allesamt an Sachlichkeit orientiert und im nationalen Rahmen. Völlig unpolitisch.
    Hier werden Verbindungen geschaffen, die von Dauer sind. Was sagte ein Sportsmann auf die Frage, warum die Deutschen im Fußball so erfolgreich wären: "Hier werden Tugenden gebraucht, die gerade die Deutschen in einer Kombination besitzen: Einsatzbereitschaft, Kampfgeist und spielerische Qualität."
    Na denn los ! "Gemeinsam sind wir stark !"
     



     Auf den nächsten Seiten nochmal den Redebeitrag aus der MigrantInnen-Gruppe "Cafe-Morgenland" mit dem Vorwort für die Veröffentlichung in der "Swing".2)
     
    Zur "Vorgeschichte"

    Am 8. Mai 1992 fand in Bockenheim im Cafe-Exzess (Leibzigerstr., FFM) ein Konzert statt. Es spielten u.a. Musik-Bands wie "Blitz" aus GB, eine beliebte Gruppe bei den Skinheads (Oi-Musik). Die Gruppe selbst versteht sich eher als links.
    Als bekannt wurde, daß viele Skinheads aus dem Rhein/Main-Gebiet zu erwarten sind (rechte Fan-Blätter haben schon das Konzert zuvor propagiert), hat die MigrantInnen-Gruppe "Cafe-Morgenland im Exzess" die Absage des Konzertes bzw. der Gruppe verlangt. Die stattgefundenen Auseinandersetzungen mit VeranstalterInnen, UnterstützerInnen und RaumverwalterInnen auf der einen Seite und Cafe-Morgenland auf der anderen, haben keinen Erfolg im Sinne einer Absage gehabt. Obwohl es bekannt wurde, daß in anderen Städten aus den gleichen Gründen (Skinheads-anlocken) die Konzerte mit "Blitz" abgesagt wurden. Darauf hin hat das Cafe-Morgenland beschlossen, das Exzess am 8. Mai zu besetzen, um das Skinhead-Fest zu verhindern. Die Besetzung selbst ist als ein zugespitztes Mittel der Auseinandersetzung verstanden worden. Bei der anschließenden Auseinandersetzung um die Besetzung hat aber die MigrantInnen-Gruppe jegliches Interesse verloren, etwas in diesen Zusammenhängen zu tun und die Besetzungsabsicht zurückgenommen. Gleichzeitig ist sie vorerst aus Cafe-Exzess ausgezogen.
    Am Freitag den 8. Mai hat dann das Konzert stattgefunden. Bis spät in der Nacht "spuckte" die U-Bahn-Leibzigerstr. "Glatzen" aus. Die meisten davon (etwa 150) waren keine Red-Skins (interessant vielleicht für die, die einen Unterschied machen wollen). Es war der größte Skinhead-Aufmarsch in Frankfurt. Noch ein Sieg im "antirassistischen-antifaschistischen Kampf".Am 20. Mai fand eine offene Diskussion um diese Ereignisse statt. 
     
     

    Nachfolgend ein Diskussionsbeitrag von einigen MigrantInnen.

    Exzesse

     

    Diese Kritik richtet sich nicht an eine bestimmte Gruppe, sondern insgesamt an die linksradikalen Zusammenhänge. 

    "Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist es desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten." (Karl Marx, 1843)
    Die Ereignisse um und am 8. Mai 1992 in Bockenheim waren der Höhepunkt einer schleichenden Tendenz in der Linksradikalen Szene, die kurz nach dem Wiedervereinigungsschock eingesetzt hat.
    Diese Tendenz wird gefüttert von einem Klima, in dem das Deutschtum zusammengeschweißt werden soll.
    Deutschtum, das ist wie bezeichnenderweise mal beschrieben wurde "die Liebe zur Region, zum Kiez, zur Heimat, zu Volk und Vaterland, zum Boden und zur Muttererde, zur heimischen Artenvielfalt und zum deutschen Wald, zur Tradition, zu allem, was roh ist, häßlich aussieht, schlecht schmeckt, hart macht".
    Diese Tendenz wird gefüttert von einem Klima, in dem die Geschichte "siegesdeutsch" umgeschrieben werden soll.
    Deutschland ist nicht nur ein geographischer Begriff. Es ist längst ein ideologischer Kampfbegriff geworden. Dieses Land, jetzt in einer noch größeren Konstellation, birgt eine Gefahr in seiner Existenz, weil menschenverachtende Ideologien und Vernichtungsgedankengänge reproduziert werden.
    Solange dieses Hindernis nicht überwunden ist, ist für die Menschen, die hier leben, eine emanzipierte Gesellschaft nicht denkbar.
    Denn dies macht möglich, daß diese Population, die bis gestern noch Serben mit Sorben verwechselte, auf einmal klar den Feind erkannt hat.
    Dies macht möglich, daß Gestern, der 68jährige ex-DDR-Bürger Gerhard Bögelein wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe von ein Hamburger Gericht verurteilt wurde. Er wurde für schuldig befunden, im Jahre 1947 im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Klaipeda den früheren Oberstabsrichter Erich Kallmerten "aus Haß gegen die Nazijustiz" umgebracht zu haben.

    Zitat aus den Abschiedsbrief von Gerhard Riege, PDS-Abgeordneter, 1992. "Sie werden den Sieg voll über uns auskosten. Nur die vollständige Hinrichtung ihres Gegners gestattet es ihnen, die Geschichte umzuschreiben und von allen braunen und schwarzen Flecken zu reinigen."
    Ist damit gemeint, daß dies für die linksradikale Szene zutrifft? Oh, nein. So einfach würde ich es mir nicht machen. Natürlich erhebt Ihr den Anspruch antifaschistisch und antirassistisch zu agieren. Aber die Nicht-Beschäftigung und die Ungenauigkeit mit dem deutscher Faschismus und Rassismus führt zu einem Mitmachen im Rahmen dieses Klimas.
    Ihr fühlt Euch verantwortlich für die "verführten" rechten Skinheads und Hooligans. Ihr fühlt Euch berufen, ihnen den richtigen Weg zu zeigen. Und wer sich so fühlt, benimmt sich auch entsprechend: Mitleid mit den Tätern, Verständnis für ihre Lage, Rechtfertigungen aller Art. Das ganze soziale Klimbim muß her. Schlimmer noch. Ohne es einmal zu merken, liefert Ihr Argumente unter welchen Bedingungen ein Kurde oder eine Iranerin Agressionsobjekt sein darf. Zitat: "Die Unzufriedenheit ist der Boden der immer mehr hoffnungslose Jugendliche zu den Nazis treibt. Diese jungen Leute wären vorher eher nach Links tendiert und hätten im Klassenkampf ihre Rechte erkämpft anstatt sich, ohne sich dessen bewußt zu sein, den Schuldigen für ihre Situation, dem Kapital, durch ihr Handeln in die Hände zu spielen. Wir müssen sie wieder für uns gewinnen, indem wir real etwas anbieten, was jetzt schon greifbar sein muß, eine menschliche und solidarische Zukunft. Ein Großteil der Stiefelfaschisten ist unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, beschissene Wohnung, kein Geld, keine Arbeit, keine Perspektive. Wie immer wird ein Sündenbock gesucht und gefunden, und auch von staatlicher Seite angeboten: die AusländerInnen. Aber nimmt der Kurde Arbeit weg, der mit 5-jährigem Arbeitsverbot als Flüchtling belegt ist, nimmt die Iranerin eine Wohnung weg, die im Wohncontainer haust usw. usw.".(Aus Antifa-Info Nr.3)
    Und wie läuft die Argumentation wenn der Kurde dies doch tut? Wie ist die Iranerin zu behandeln, wenn sie das Container-Dasein satt hat und sich eine Wohnung nimmt? 
    Warum kann in diesem Land nicht selbstverständlich sein, daß Menschen nicht zusammengeschlagen werden können, weil sie verdammt noch mal ein Lebensrecht haben. Einfach so. Ohne eine einzige Begründung. Merkt Ihr nicht, daß jede Begründung den Rassismus rechtfertigt?
    Warum klammert Ihr Euch an diese Population? Was muß noch passieren? Seit dem Herbst 91 und danach haben sich Straftäter, die auf Bewährung über 40 Jahre agierten, als Wiederholungstäter entpuppt.
    Solange diese Tatsache ignoriert wird, hat antirassistisches Handeln nur noch eine Alibi-Funktion.
    Ihr erwartet die nationale Besoffenheit über Propaganda-Reden á la Göbbels. Ihr erwartet, daß die Volksgemeinschaft durchs Brandenburger Tor marschiert. Wenn sie aber durch das Tor des Fußballstadions kommt, dann seht Ihr nur die proletarische Jugend.
    Ihr erwartet den faschistischen und rassistischen Rausch mit Marschmusik und Horst-Wessel-Lieder. Wenn er aber über Fans von Blitz-Krieg-artigen Musik-Bands kommt, dann sind es nur dumme Jugendliche.

    In der Geschichte vom 8. Mai 1992 waren die Rollen in gewohnter Weise verteilt.
    Es gab diejenigen, die aktiv mitgemacht haben. Es gab diejenigen, die zugeschaut haben. Und es gab diejenigen die weggeschaut haben. Somit wurde das Ganze zu einer Sache zwischen einer sentimentalen, altmodischen MigrantInnen-Gruppe auf der einen Seite und deutschen VeranstalterInnen, UnterstützerInnen und RaumverwalterInnen auf der anderen Seite.
    Schlimmer noch. Gruppen, die es bisher noch nicht geschafft haben, sich in irgendeinem Punkt zu einigen, standen uns gegenüber (besser gesagt sie umzingelten uns) mit einer Einheitsfront-Mentalität, die den Zustand für uns noch unerträglicher machte.
    Als noch die Beschimpfungen und Androhungen hinzukamen, gabs keine Möglichkeit mehr als aufzugeben.
    Ihr wart empört über unsere Unverfrorenheit, Euch zu unserem Treffen zu bestellen. Wo kommen wir denn hin. In Zeiten wo AusländerInnen in öffentlichen Verkehrsmitteln gezwungen werden für Deutsche aufzustehen, besaßen wir die Unverschämtheit Euch zu uns zu bestellen. In Zeiten wo Nichtdeutsche beim Bezahlen an der Kasse den deutschen Volksgenossen den Vortritt zu gewähren haben, haben wir uns geweigert zu Eurem Treffen zu kommen!
    Wird nie wieder vorkommen. Denn das nächste Mal wird keine Diskussion weder vorher noch nachher stattfinden.
    Euer Antifaschismus ist geschichts- und geschmacklos. Es war kein Problem für Euch am 1. Mai, in Wiedervereinigungsdemos mitzumarschieren, DGB-Motto: "Teilen Verbindet" . Genau an dem 50-sten Jahrestag des Aufstandes des Warschauer Gettos am 1. Mai 1942.
    Es war für Euch kein Problem, am 8. Mai, am Tag der Befreiung von Hitler-Faschismus bzw. seines Zusammenbruchs, für Oi-thanasie-Anhänger Feste zu organisieren. Wie gesagt: Siegesdeutsch!
    Für die Völker Europas und die Überlebenden von KZ's und Vernichtungslagern war es aber das Datum wo Deutschland am sympathischsten erschien.
    Ihr kennt Euch in allen Musik-Richtungen ziemlich gut aus. Ihr kennt die Unterschiede zwischen den verschiedenen Musik-Bands sehr genau. Das muß man Euch zugestehen. Aber Ihr kennt immer noch nicht den Unterschied zwischen Sobibor und Oi-Musik. Diese Unkenntnis ist das Fundament, auf dem die Geschichte zur Zeit umgeschrieben wird.
    Euer Antirassismus ist hülsen- und phrasenhaft. Ihr habt mühevoll versucht uns verständlich zu machen, wie Ihr uns - im Falle einer Besetzung - behandeln würdet. Warum aber um den Brei herum reden? Andere sind ehrlicher. "Ausländer klatschen" heißt es doch auf Neudeutsch. Die einzige Frage, die ich dabei hätte, wäre nur wie Ihr es anstellen würdet: Mit oder ohne Haßkappe?

    Ihr sagt, daß Ihr Euch von MigrantInnen nichts vorschreiben laßt.
    Euer Autonomie-Verständnis und Euer Selbstbestimmungsanspruch wird uns aber langsam zu brenzlig. Er ist zu hemmungslos und somit gefährlich für uns geworden.
    Gefährlich, weil wir uns in einer Situation befinden, wo alles wieder möglich ist. Wo Hetzjagd auf AusländerInnen und Flüchtlinge von einem Fußballspiel-Ergebnis abhängt. Jetzt wißt Ihr, warum sich einige von uns über das Endspiel am letzten Samstag zum Schluß doch noch gefreut haben.
    Unsere Aufgabe ist und bleibt es, die Kosten für das Ausleben des Rassismus möglichst hoch zu treiben. Alles weitere ist eine Sache der Logistik. Mit uns wird es in Sachen Rassismus keine aber wirklich keine Kompromisse geben. Weder ein bißchen Rassismus noch ein bißchen Skinheads.
    Solange die Äußerung: "MigrantInnen gehen nicht in Räume rein, die nach Skinheads-Stiefel stinken", mehr stört als diese Tatsache selbst (denn das ist der gewohnte Stallgeruch), solange werden wir mit den autonomen musikfreudigen Citoyens nur noch über unseren Geruchssinn reden.
    Ihr müßt Euch endlich mal entscheiden: Entweder für Befreiung oder für Deutschland. Beides zusammen, das wird nie gehen!

    Am nächsten Tag, nachdem die Show vorbei war, hat die Polizei die Leipzigerstr. abgeriegelt und Kontrollen ausschließlich bei ausländischen Jugendlichen durchgeführt. Die Kids waren wieder mal auf sich allein gestellt. Sie mußten selber gucken wie sie zurechtkommen. Wie immer. Jeden Tag, in der ganzen Stadt. Normalzustand in Deutschland.



    Fußnoten:
    1) Reaktionen 1992 auf einen Spendenaufruf der NDR-Panorama-Redaktion für Auschwitz: "Gern werde ich eine größere Summe spenden, wenn dadurch Auschwitz betriebsbereit bleibt (für Galinskis, Türken u.a.)" oder "Auch das Unterbringungsproblem für unsere Asylanten wäre so leicht zu lösen. Ich gebe freiwillig 50 kg Gas (Zyklon B)." 
    2) In der Swing Nr.43 erschien der Redebeitrag mit dem lapidaren Hinweis: "regionales gibts wieder ne ganz menge: ... - zur auseinandersetzung zwischen cafe morgenland und bzw. im exzeß haben wir eine längere zuschrift abgedruckt". Was den RedaktörInnen zu dem Redebeitrag einfällt ist "regional" und "lang". 

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